Dieser viel versprechende Titel veranlasste mich, mir diese sagenumwobene physisch-psychische Bewegungskultur einmal genauer anzuschauen. Todesmutig meldete ich mich zu einer Probestunde an. „Ballett für Kinder“, „Capoeira für Anfänger“ – das war mir ja geläufig, aber „Yoga für Frauen“? Bedeutete das nun einen erhöhten oder einen reduzierten „Problemzonen-Komplex“-Quotienten, verstärkte „Beckenbodengymnastik“ oder einfach nur der herkömmliche „Wer-hat-die-teuersten-Klamotten“-Wettbewerb …? Selbstbewusst und fröhlich, ok zugegeben: ein wenig eingeschüchtert, angesichts der vielen erfahrenen Yogis, ihrer bunten Matten und Decken, Klangschalen und Duftessenzen, enterte ich die Räumlichkeiten. Entschlossen schlüpfte ich in meinen farbenfrohen, energetisch ausgewogenen Sportdress: schwarze Socken, schwarze Hose, schwarzes Shirt.
Im Saal fielen mir erstmal weniger die positiven Schwingungen als die durchdringenden Gerüche nach Naturputzmitteln auf Essigbasis und erhöhten Schweißdrüsenaktivitäten auf.
Ich setzte mich in den Kreis zwischen eine magere in Hanfstoff gehüllte Fünzigjährige und eine hennarote Berufene mit verklärtem Blick unbestimmbaren Alters.
Ich hatte heute auch extra kein Fleisch gegessen, vorsichtshalber nicht einmal Käse oder Eier. Hatte keine Fliege erschlagen, weil es ja mein Opa hätte sein können, und nicht herumgebrüllt, na, jedenfalls fast nicht. Ruhe senkte sich über den Raum, und ich versuchte nicht zu schnaufen, während ich meinem Atem lauschte. Mein (alle Ideale ignorierender) Magen knurrte laut, und zerriss jäh die atmosphärische Stille. Der Magen meines Gegenüber antwortete prompt; bald schon schienen unsere Körper auf einer ungeahnten Ebene zu kommunizieren. Niemand sagte etwas; es wurde lediglich „bewusst geatmet“: Ein und aus, ein und aus, ein und … Gerade als es gemütlich wurde, die Rothaarige seufzte tief, die Ältere schnarchte leise neben mir, mussten wir uns wieder aufrichten. „Setzt euch ganz bequem hin, macht einen geraden Rücken“, sagte die widerlich relaxte Lehrerin mit den halbgeschlossenen Augenlidern und der tierisch sanften tiefen Stimme fast gelangweilt. Diese Anweisung war schon ein Widerspruch in sich für mich und meinen bürostuhlverkümmerten Rücken. Mitleidig schob „Miss Alles-ist-im-Fluss“ mir eine Hand unter den Hintern. Erschrocken fuhr ich hoch. Als die Schwerkraft ihr physikalisches Recht einforderte und mein Hinterteil wieder auf den Boden plumpsen ließ, spürte ich einen Widerstand: Die Hälfte meine Pobacken walkte über einen korkähnlichen Klotz, der ihn Form und Oberfläche einem Backstein glich. Ich wagte – aus Angst, einen kollektiven ewigen Nirwana-Ausschluss zu riskieren – nicht, mich zu bewegen. Nun, mit so einem Stein im Gesäßbereich sitzt man dann tatsächlich sehr aufrecht … Gerade, als ich meine aufgeregt flatternden Augenlider wieder halbwegs geschlossen hatte, geschah es: Ein summender brummender, leicht schwankender Ton erfüllte den Saal. Irritiert schaute ich mich um, ob wohl die Heizung angesprungen war oder die Stereoanlage eine auditive Fehlfunktion auswies, doch ich erblickte nichts, als die bebenden Lippen und das leicht vibrierende Wangenfleisch in den Gesichtern meiner Mit-Yogis. Es wurde „geommmmmt“! Ich schloss schnell wieder meine Augen, denn ich fühlte, wie mit jäher Wucht ein Kichern in meinem Innern aufzusteigen drohte … Panisch pressten sich die Finger meiner nach oben gedreht auf den Knien liegenden Hände an die Daumen. Ich atmete tief ein und aus, horchte in mein Inneres und murmelte mein persönliches Anti-Lach-Tantra, das ich bereits zur Christmesse beim lispelnden Pfarrer erfolgreich angewendet hatte: „Und Josssef zzzzog … Jerussssalem … Jessssussss … ssssahen den SSSStern …“.
Offen für Neues, völlig vorurteils- und angstfrei wie ich bin …; ich ommte mit, so gut ich konnte, traf aber vor lauter Aufregung den Ton nicht und provozierte im wahrsten Sinne des Wortes einige „Missstimmung“. Schließlich schien die Lehrerin ein Einsehen zu haben, blähte die erstaunlich geometrischen roten Backen und sang allein. Nun, nicht gerade „Popstars“-reif, aber sehr angenehm. Vor meinem inneren Augen nahmen blendend-helle Harmonie-Bilder Gestalt an, die mich bereits bei der „Siddharta“-Lektüre begleitet hatten. Nach dieser Showeinlage und ein paar aus der Schale schallenden Gongs war jedoch Schluss mit lustig. Jetzt ging es echt ans Eingemachte: Die Übungen, im TV geradezu lachhaft einfach aussehend, waren so fies und anstrengend, dass ich gar nicht so schnell schwitzen konnte, wie ich hecheln musste. Und während sich einige Twens schon scheinbar völlig easy die Füße hinter die Ohren klemmten – und dabei noch lächelten UND atmeten; ich konnte nur noch eines, und auch das nur mit größter Anstrengung und imaginiertem Sauerstoffzelt, versuchte ich mit den Fingern noch krampfhaft meine scheinbar kilometerweit entfernten Fußspitzen zu erreichen. Die Vorturnerin hatte kein Erbarmen; schon gar nicht mir … Sie dirigierte und forderte – alles in einem schrecklich soften, freundlich-positiven Ton, der uns nur eins suggerieren sollte: alles easy, das kann doch jedes Kleinkind. Ja, diese vielleicht, weil ihre Knochen noch so weich sind … Aber nicht meine jahrelang auf dem Sofa ausgehärtetes Skelett. Mein Zorn stieg, doch meine Kraft reichte nicht aus, um in die „kleine Cobra“ zu gehen UND zu zetern.
Ich bin ja wirklich tierlieb, aber hier lernte ich „Hund“ und „Cobra“ zu hassen; angenehmer war da noch die Vierfüßlerstellung oder die „Stellung des Kindes“, (die zugegebenermaßen in unserer Gesellschaft ohnehin nicht unproblematisch ist …), bei der die gesamte Oberkörperrückseite, insbesondere die Gesäßmuskulatur gedehnt wird, was ich am nächsten Tag auch sehr genau zu spüren bekam. Nur stöhnend konnte ich mich aus meinem Bürostuhl erheben, um mir ungesunden mit raffiniertem Zucker gesüßten Kaffee aus wenigstens glücklichen, weil frei lebenden Bohnen aus der Teeküche zu meinem Trost zu holen.
Ich stöhnte leise und machte noch den „schlafenden Koalabären“, die „fliegende Ameise“ und den „auf dem Rücken liegenden Käfer“, dann gab ich auf. Platt wie eine Kröte auf Autobahnwanderschaft klebte ich am Boden, starrte an die Decke und lauschte den in Schleife laufenden Hare Krishna Gesängen aus den Boxen. Erst zur „Heuschrecke“ konnte ich mich aufraffen. Ich klemmte also auf die Seite liegend meine Fäuste und Ellebogen eng in die Körpermitte, rollte mich schwerfällig auf den Bauch und versuchte gemäß der Folter-Anweisung meine Beine samt Becken hoch nach hinten raus zu strecken. Das klappte erstaunlich gut; zum ersten Mal in dieser demütigenden Stunde heute hatte ich meinen gummiartigen Mit-Körperdehnern etwas voraus. Selbst unsere „Ober-Yoganerin“ schien ernsthaft erstaunt.
Überrascht blinzelte die mit ihren Äuglein, riss sie dann auf, so dass man nun auch die obere Hälfte der Augäpfel sehen konnte und schwebte in ihrem Lichtkreis auf mich zu. „Sehr schön!“, sagte sie und wiederholte es einfachheitshalber gleich drei Mal. Während mir mein in der Brust schwellender Stolz langsam die Luftzufuhr abschnitt, zog und zerrte sie begeistert weiter an meinen Laufstelzen, dass ich fürchtete gleich davon zu flattern. So, die „Heuschrecke“ war also mein Ding – was sagte uns das …? Hm, irgendwie wäre mir die Cobra, ja selbst der Hund, so rein assoziativ doch lieber gewesen. Ich hatte keine Zeit, weiter darüber nachzudenken, denn nun kam der Höhepunkt der Übungsstunde: Die Vorbereitung für den Kopfstand. Die Anweisungen genau befolgend lief ich kurz darauf kopfüber an der Wand hoch. Nur noch ein Bein und gehörige Nackenschmerzen trennten mich von einem „richtigen Kopfstand“ – dem heimlichen Lebenstraum aller Anwesenden, wie es aussah … Während mir der Schweiß in die Augen lief und dort Brandmale zu hinterlassen schien, hörte ich die Frau neben mir jammern. Sie schien sehr stark „geerdet“ zu sein. Fast hysterisch schilderte sie der angesichts soviel Hemmungen hilflos drein blickenden Yoga-Lehrerin, dass sie das unmöglich tun könnte, weil sie eben a) das Gefühl hatte, sich den Hals zu brechen, b) sich mit den notwendigerweise verschränkten Fingern schmerzhaft in den eigenen Haaren verfangen hatte und c) heute eben auch noch Donnerstag war. Darauf wusste die Lehrerin nichts zu erwidern und ließ sie einfach stehen, worauf die Kopfstand-Verweigerin „Hund“elend drein schaute und traurig in die „Stellung des Kindes“ sank. Ich schlug vor, da sie da ja jetzt eh schon im Fersensitz und mit rundem Rücken verharrte bzw. still vor sich hinweinte, dass sie doch eben so gut ein paar Purzelbäume schlagen könnte; das wäre doch etwas. Sie war begeistert und schlug quer durch den Saal von einer mit Kopf stehenden Frauen, denen die Brüste die Nasenlöcher verschlossen, bevölkerten Wand zur anderen. Stolz klopfte ich mir selbst auf die Schulter; bereits nach so kurzer Zeit hatte ich die Jahrtausende alten Weisheiten verinnerlicht und sogar erfolgreich angewandt. In diesem Moment krachte es ohrenbetäubend, und es bot sich mir ein unschöner Anblick: Die Purzelbaum schlagende Sinnsuchende war mit den Füßen voran in einen abgehängten Spiegel gekracht. Als die Blutungen soweit gestoppt waren, ging es an die Entspannungsphase. Wieder wurde geatmet, geatmet, geatmet; die Klangschale tat ihren teuer erkauften Dienst, hohe Frauenstimmen besangen von CD das harmonische Weltganze, und wieder knurrte mein Magen. Sanfte Hände massierten mit duftenden Ölen geschmeidig gemacht meinen Nacken, wunderbar! Ich würde nun einfach immer zum Schluss kommen, zur wohltuenden Massage …
Zum Schluss ommten wir dreimal, ich machte vorsichtshalber nur Playback, und dann sang unsere Meisterin noch einmal ihre Nummer, die davon allerdings keineswegs besser wurde. Wir legten vor der Brust die Handflächen aneinander und durften uns nun bedanken. Für etwas Schönes in unserem Leben. Oh ja, ich war sehr dankbar in diesem Augenblick. Vor allem dafür, dass die schweißtreibende Stunde vorbei war. Denn ich fühlte jeden einzelnen Knochen und Muskel in meinem Körper, auch meldeten sich Teile, von denen mein Gehirn nicht einmal geahnt hatte, dass sie existierten … Zumindest hatte es mir diese bis jetzt verschwiegen.
Als wir auch noch allem Lebewesen Frieden gewünscht hatten, hatte ich Tränen in den Augen.
Glücklich humpelte ich nach Hause …
Probiert es unbedingt aus – BS
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