Auf der Avus Richtung Soundcheck Hauptbühne Brandenburger Tor. Die Fliegen-Sonnenbrille verdeckt mit ihren 4cm-Durchmesser-Gläsern glücklicherweise die stummen Zeugen der kurzen Nacht. Der Magen mangels Frühstück etwas flau. Kurz darauf stehen Marcy (noch immer etwas wortkarg), Jodyz, Chris, Doro und ich vor der Zweitbühne am Großen Stern.
8.05 Uhr: Das 23. Nisanfestival ruft.
Wie sich herausstellte, dürfen wir die knapp 700.000 erwarteten Gäste nur von der Zweitbühne und nicht von der Hauptbühne aus beglücken. Schade. Andererseits: Sollten wir Pavarottis Applausrekord von 67 Minuten toppen, können wir uns aufgrund der verkehrtechnisch besseren Bühnenposition leichter verdrücken. Was soll´s. Wenn man sich als letzter bewirbt, muss man halt mit dem zufrieden sein, was da ist. Das ist auf dem ersten Blick allerdings noch nicht ganz so viel. Ein, zwei Techniker schlurfen umher und der Soundcheck lässt ebenso auf sich warten wie der Kaffee. Das Bühnendach ist auf das Stockmaß des Technikers (ca. 158 cm) heruntergelassen und natürlich renne ich als erstes mit der Birne gegen einen der umherfliegenden Scheinwerfer. Während ich mir die Stirn reibe scheppert es wieder und Chris kommt mit schmerzverzerrtem Gesicht auf mich zu. Aha. Der ist jetzt also auch wach. Gegen 11.00 Uhr schlagen die Jungs von der Künstleragentur X-Berg auf.
X-Berg: „Hi Leute. Alles klar? Was macht der Soundcheck?“
Ich: „Hat was von Warten auf Godot“
X-Berg: „Hört mal: Auf der Hauptbühne ist doch ein Platz frei. Wenn ihr Lust habt, könnt ihr um 16.30 Uhr nach Ayman spielen. Kennt hr doch, oder? Der mit dem „Stern-Hit““
Ich: „JA! Beides …!“
X-Berg: „Leider gibt es dort keinen Soundcheck.“
Ich: „Kein Problem. Hier auch nicht.“
Also wieder rin ins Auto und ab nach Hause. Dann das große Fragezeichen auf Marcys Stirn.
„Was ist denn mit Klixx? Der muss bis 16.00 Uhr arbeiten.“
„Dann ruf ihn doch rasch an! Das schafft er!“
„Aber Klixx hat aus Prinzip kein Handy dabei.“
„Wo arbeitet er denn ?“
„Keine Ahnung.“
„Ach.“
Kühn schießen mir die unterschiedlichsten Notfall-Das-Kriegen-Wir-Schon-Hin-Gedanken durch den Kopf: Dann spielen wir ohne Bass. Ich dreh in die Klampfe mehr Bass rein. Spiel doch deine Fußtrommel lauter. Schließlich muss auch Jodyz einsehen, dass sie so tief nicht singen kann. Dann der rettende Einfall: Über die Errungenschaften der Technik (Internet) fahnden wir nach Klixx Arbeitgeber und schwups haben wir ihn am Telefon. Und ja: Wir bekommen ein glasklares „Mensch Leute. Ihr macht ja Sachen. Na, ick werds versuchen. Versprechen kann ick nischt!“
Prima. Das wäre geklärt. So, dann haben wir nur noch unseren Saxonauten aufzutreiben. Gegen 13.00 Uhr erreiche ich endlich Sax-Mann Rocken-Rollo.
„Hi Rollo, wat machste denn heut so gegen 16.30 Uhr?“
„Schlafen. Ich komm gerade ausm Club. Warum?“
„Wir spielen am Brandenburger Tor. Direkt bei dir umde Ecke. Kommste?“
„Klar.“
„Super. Kannst dich ja noch zwei Stündchen hinlegen.“
„Ne. Hab irgendwie meine Jacke mit den Hausschlüsseln verloren.“
„Oh. Na dann komm gleich zur Bühne. Lass rocken…“
16.30 Uhr: Überall nackte Frauen.
Berlin ist ein Dorf und so finden wir uns als erstes inmitten des Sheer-Dance-Teams DanceDeluxe samt Nachwuchs wieder, welches von unserer lieben lieben Sylvia geleitet wird. Weiterhin hüpfen ein dutzend ansehnliche Elfen der Gattung Backgroundtänzerinnen in knappen Etwassen durch die Umkleiden im Backstage. Zudem warm-uppen überall sommerlich gekleidete Damen einer Dschingis-Kahn-Dancekombo. Nun … beklagt hat sich niemand. Prima: Jetzt bin ich auch ganz ohne Kaffee wach … und was leckeres zum Augen-Frühstück gibts auch. Na, passt doch alles. Plötzlich stürmt eine junge Dame panisch dreinblickend auf mich zu: Die Moderatorin vom Dienst, wie sich herausstellt.
„Ihr seit eingesprungen für … Äh. Na, jedenfalls seid ihr LINCK!“
„Stimmt!“ (Prima, Sie kennt uns!)
„Okay. Und was macht ihr für Musik?“
(Scheiße. SIe kennt uns nicht.) Aber egal. Bevor der Mensch auf der Bühne seinen Mega-Seller „Mein Stern“ angestimmt hat, hatte ich auch keine Ahnung, wer Ayman eigentlich ist. Ebenso hatte ich erst vor wenigen Augenblicken erfahren, dass der junge Mann mit dem seltsam rasierten Bart neben Mr. Eisenmann ist und die Söhne Mannheims mitbegründet hat – was immerhin erklärt, warum der Moderator in Weiß die ganze Zeit um diesen Menschen herumscharwenzelt und am posen ist. Ich fülle also den leeren Zettel der Moderatorin mit knappen Infos zu unserer ersten Platte und zur geplanten zweiten Platte „Alles bleibt anders“.
Dann gehts los. Die Massen halten sich etwas in maßen (war aber bei allen anderen auch so), und wir haben jede Menge Spaß auf der Bühne – auch wenn sich der Bühnensound auf Schlagzeug, Bass und Chris beschränkt. Meine eigene Klampfe scheint irgendwo im Amp verloren gegangen zu sein und die Gesänge haben keine Chance den Weg vom Monitor zu meinen Ohren zu finden. Seis drum. In der Not muss es halt im Blindflug klappen. Und es klappt. Die Leutz sind zufrieden und die Veranstalter auch. Bestens. Also Abflug zur zweiten Bühne, denn der zweite Gig um 19.00 Uhr blieb uns erhalten.
19.00 Uhr: Der Große Stern
Die Bühne ist in den letzten Stunden deutlich gewachsen. Imposant blockiert sie die komplette Straße des 17. Juni und die Stimmung ist hier sehr ausgelassen und rockig. Da kommt Freude auf. Fein. Da ich den gestellten Phantom-Gitarren-Verstärkern nicht mehr traue, spiel ich lieber über meinen eigenen Amp: Eine gute Wahl. Bei diesem Auftritt klappt alles bestens. Okay, unser Saxonaut flächst uns mit gottweißwieviel Dezibel die Ohren weg, aber da kommts jetzt auch nicht mehr drauf an. Es rockt und alle sind happy. Besonders Miri, als sie hinter der Bühne einen schwarzhaarigen Jungen entdeckt, der wohl Finalist von Deutschland sucht den Superstar ist.
23.00: Gute Nacht
Party gibts heute nicht mehr, denn morgen gehts gleich weiter aufs Fläming-Festival. Bin gespannt. Aber wir spielen erst abends, was meine Chancen auf einen morgendlichen Kaffee steigert.
Lasst es rocken, MW
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