High, higher, Hygge
Es ist die Zeit der selbstgemachten perfekt geformten Vanillekipferl ohne Zucker, alternativ der Fertigbausätze für Lebkuchenhäuser aus dem Biomarkt und der ominösen Weihnachtsessen-Rezepte-Sammlungen – low carb, no meat, nix Grünes oder extra fat.
Der pseudo-traditionellen Adventsbasare, auf denen wahlweise Sanddorn-Chic-Pudding in Hirschgeweihtassen kredenzt wird oder Billig-Bratwurst von unglücklichen Schweinen verkauft wird, vorausgesetzt es handelt sich überhaupt um Fleisch, was in den Därmen verwurstelt wurde. Überambitionierte Erzieherinnen mit Hang zum Therapie-Werken leiten widerspenstige Dreikäsehochs beim „Kinder-Weihnachts-Terror-Basteln“ an oder nach Jahren der belastenden, unterbezahlten Arbeit bedrohen verzweifelte, überforderte Betreuer Eltern mit der Heißklebepistole.
DIY – in keiner Zeit des Jahres hat DIY mehr Konjunktur, die Blog quellen über von Deko-Tipps und pastellfarbenen Fotos. Die sozialen Netzwerke strotzen vor bastel-, Koch-, Strick, Stick-, Häkel-, Knüpf-, Klöppel-, Filz-, Koch- und Backideen. Upcycling ist das neue Buntpapier. Eine glitzernde Bilderflut, vornehmlich mit Holz-, Leinen-, Schiefer- und Naturtönen unterlegt suggeriert mit Tiefenschärfe und Anglizismen, dass wir es uns schön machen müssen. Allen Müttern, die nicht bei 3 Escape gedrückt haben, springt der Demo Aufruf ins Auge.
„Schmücke dein Nest. Für deine Familie. Jetzt.“
Wer weder selbst macht, noch ökologisch unbedenklich und pädagogisch wertvoll kauft, ist RAUS! Ganz klar.
Ich bastel, also bin ich. Wer nicht postet, existiert nicht. Wer nicht wenigstens kommentiert, darf nicht mitspielen. Wer sich raushält und lieber mit Filterkaffee auf dem Sofa herumlümmelt als im trendeigen Oversized Cadigan mit Boyfriend-Jeans-Look Soja Latte konsumiert und auf handgemachten Kokosmatten Yoga zelebriert, wer nicht wenigstens eines der aktuellen Reizwörter „Achtsamkeit“, „Vereinbarkeit“, „Stillen“ oder „natürlich vegan“ benutzt, hat nichts zu sagen. Zumindest nichts Wichtiges.
Deshalb möchte ich heute diese wertvolle Bastelanleitung mit euch teilen:
„Mach es dir gemütlich. Christbaumschmuck aus Weißwurstzipfeln.“
Nach deiner täglichen Yoga-, Still- oder Achtsamkeitsübung, die du nach dem natürlich veganen Lunch angelegt hast, ein Ergebnis deiner nicht nachlassenden Vereinbarkeitsbemühungen, setzt durch dich an einen schönen, ruhigen Ort und zutschelst gefühlvoll das zeug aus der Weißwurst. Denn wir brauchen nur den Darm. Zieh die Wurst mit leichtem Druck langsam zwischen deinen frisch gebleichten Zähnen hindurch bis das Innere nahezu gänzlich herausgerutscht ist.
Die übrig gebliebene Wurstpelle wässerst und säuberst du gründlich – bitte Aqua-Stopp beachten – und lässt es unbehandelt im Westwind auf der Leine auf deiner mit fair gehandelten Teakholz-Möbeln bestückten Terrasse trocknen.
Nach dem behutsamen Zurechtschneiden werden die Säckchen nun gefüllt. Dabei sind deiner Fantasie keine Grenzen gesetzt: Ob getrocknete Plazenta-Streifen, ungeölte Holzperlen, Tee-, Teer- oder Zahnstückchen, Anna&Elsa Aufkleber, StarWars-Lichtschwerter oder neonfarbene Käsespießchen – nichts ist unmöglich.
Das Ganze wird dann zugebunden, wahlweise mit einer Schnur aus veganer Biobaumwolle oder edler: echter chinesischer Seide, mit einer Schleife versehen, einem Mandala verschönert oder mit Moschus parfümiert.
Du hängst es nun gut sichtbar an den Baum, ein edles Gewächs, selbst gefällt oder zumindest selbst ausgesucht, und weist bei jeder möglichen und unmöglichen Gelegenheit auf deinen selfmade, biologisch abbaubaren Weihnachtsbaumschmuck mit geringem energetischen Fußabdruck hin.
Eine etwaige Geruchsbildung wird von dir im Namen eines verantwortungsvollen Umgangs mit den natürlichen Ressourcen strikt ignoriert, geleugnet und auf Tante Ernas Verdauungsbeschwerden geschoben, die zur Besänftigung einen Krug Aldi-Glühwein intravenös zugeführt bekommt.
Alternativ können auch Kondome verwendet werden. Frohes Fest! Namaste …