Ich würde euch gern die ersten Zeilen meines neuen Buchprojektes vorstellen; der dritte Berlinroman nach „Meine Berliner Kindheit“ und „Mit Erbsen auf Soldaten“, eure BARBARA
Arbeitstitel „Jejessen wird imma!“
An ihrem 16. Geburtstag lud sie Margot ein, „Komm, dit musste mitmachen: Schwofen uff den Seeterassen ist echt spitze!“ Nach dem kleinen Kaffeekränzchen, das ihre Mutter und ihre Schwestern für sie veranstaltet hatten, zog sie also ihren besten Rock an. Sie hatte immer noch Susi helles Stimmen – „Zum Jeburtstach viel Glück …“ im Ohr, als ihr Margot die Haare machte.
„Dieset Jestrüpp bei dir uff’m Kopp ist ja echt nicht zum Aushalten. Hast dir wohl n dicket Fell wachsen lassen … Du musst unbedingt mal war machen damit.“ Sie nahm erneut die Bürste zur Hand und legte mit wilder militärisch anmutender Entschlossenheit Han dann Helene dicke braune Haare. „Mensch, du hast so tolle Haare. Aber du lässt die einfach links liegen.“ „Hannes jefällt’s!“ Erwiderte helene ein wenig beleidigt. „Na, der hat ja och keene Ahnung, mit seinen Hochwasserhosen …“ raunte Margot. „Wat?“ „Nüscht“, beschwichtigte Margot. „Nur: Männer haben andere Talente …“
Helene schmollte, ließ sich aber weiter bearbeiten. Sie war gespannt, was raus kam …
Margot kämpfte noch immer mit der Bürste gegen die Knoten in Helenes Haar.
„Sapperlott, dit is doch nicht möglich!“ fluchte sie noch immer – wenig um Damenhaftigkeit bemüht. Sie selbst steckte in einem hübschen Petticoat und hatte die Haare zu weichen Wellen gelegt.
„So, gleich ham wat!“, verkündete sie und gab noch einmal alles: Schmerzhaft zog sie Helene die Haare stramm, bis sie zu einem flotten, hohen Pferdeschwanz auf dem Hinterkopf gebunden waren. Zufrieden betrachtet Margot ihr Werk. „Jut so!“ Sie legte Helene die Hände an den Kopf und strich seitlich alle Härchen glatt. Mit Ekel sah Helene, wie sie dazu in den Hände spuckte. „Hält besser“, erklärte Margot „und kostet nüscht.“ „Na, du machst es mit mir …“, entgegnete Helene.
Sie strich sich unwillkürlich die Bluse glatt. „Steh mal uff!“, forderte Margot, drehte sie wie eine Puppe einmal im Kreis und schaute so kritisch, dass Helene sich sogleich begann, unwohl zu fühlen … Doch Margots abschließendes Urteil fiel positiv aus. „Toll siehst aus, und gleich viel älter.“ „Ist dit jut?“ Fragte Helene unsicher. „Na klar, dann kriegen wir noch den Sekt und die Bowle und außerdem finden die Jungs da junge Mädchen super, aber nicht zu jung .. Deshalb is jut, wenn du wie Siebzehen, Achtzehen aussiehst.“
„Und wie alt sie ihn die?“
„Na, meist 18 oder 20 oder so. … So genau weeß ik dit nich, Hauptsache die ham n Motorrad und können den Sekt bezahlen …“ grinste sie. „Wenn se ausgelernt ham, ham se noch mehr Moneten.“
Helene dachte an Hannes. „Du, ich weeß wirklich nicht, oben dit so’ne Jute Idee is ….“ Na klaro, du musst doch mal wat anderen sehen als immer nur den Hinterhof und deinen Jemüsestand. Da wird man ja meschugge. Wir sind jung! Und so’ n Schwoof is da genau dit Richtije. Also los!“ Mit diesem Worten schob sie Helene aus dem Zimmerchen und holte ihre Jacken.
„Fertig?“ Helene nickte zögerlich. „Uff ins Gefecht!“ Margot musterte sie kurz: „Wat’n, haste Fracksausen?“ … passiert nüscht, keene Bange.“ Helene grinste: „Nu quatsch keene Opern, komm lieber, sonst verpassen noch die Bahn …“
„Na dann, Sattel die Hühner …“
Zwei Krähen hockten auf dem Geländer gegenüber. , starrten hinüber und krächzten um die Wette, wie es schien. Die beiden Mädchen schwangen sich auf die Räder.
„Pass bloß uff mit deinem Rock. Nicht dass er zwischen die Speichen kommt und gleich uff der Nase liegst. Denn biste nich mehr salonfähig …“
„Ach du wieder … Ich seh mich vor; außerdem weißte doch: N schönen Menschen entstellt nüscht!“ flachste Helene. Margot lachte nur und trat in die Pedale. Ihre Haare flatterten im Wind und sie ließ die Zähne blitzen, während sie gutgelaunt vor sich hin grinste. Helene bewunderte ihre Chuzpe. Margot weiß sich nichts sagen. Von niemandem. Neulich erst hatte Helene sie mit zwei hutaussehenden Jungs vor der Penne getroffen. „Darf ich vorstellen?“ hatte sie von einer ausladenden Handbewegung begleitet gesagt. „Dit is Oskar und dit Erich, mein Brotfreund.“
„Wat is denn’n Brotfreund?“ Hatte Helene später hinter neugierig gefragt.
„Janz einfach“, hatte Margot geantwortet: „Der eene jibt mir seine Brote innen Pause, der andere die Äppel.“ Helene war verblüfft. „Na, du bist mir eene …“ Margot zuckte mit den Schultern, „Man muss ja sehen, wo man bleibt …“ Sie zwinkerte keck: „Und, es ist ja so: Liebe macht blöd, äh blind …“
Als sie vorhin nach Margots beiden Verehrern gefragt hatte, hatte diese nur mit den Schultern gezuckt: „Hat sich in Wohlgefallen uffjelöst. Nu ha’ick eenen, der immer Schinken mitbringt.“ „Liebe geht eben doch durch den Magen“, dachte Helene.
Die beiden Mädchen radelten bis zum Bahnhof, von dort aus nahmen sie den Zug. Herrliches Wetter empfing uns in Tegel.
„Na hallo, die Damen“, begrüßte sie eine tiefe Stimme, kaum dass wir die zum Lokal gehörenden Terrassen mit Blick auf den See betreten hatten. „Wie wäre es mit einem Glas Bowle zum Aufwärmen?“ Warm war Helene bereits; sie schwitzte leicht unter ihrem engen Oberteil und dem ausladenden Rock. Die Sonne stand hoch. Der Typ, der sie leicht amüsiert musterte, war wie aus dem Kintopp: Groß, selbstbewusst, die Haare glänzend nach hinten gegelt. Muskeln zeichneten sich seinem weißen T-Shirt mit den hochgerollten Ärmeln an. Er trug natürlich … blue Jeans. Er war mindestens vier jähre älter als sie, schätzte Helene, und sah zugegebenermaßen verteufelt gut aus. Innerlich seufzte sie, Typen wie den kannte sie. Doch nun war sie schon mal hier. Helene straffte die Schultern, hob das Kinn und spielte mit: „Na klar. Am besten sofort.“
Margot sah sie überrascht von der Seite an.
Helene hörte nach dem ersten Schluck des süßen alkoholischen ihren Magen knurren, neben sich die Motorräder röhren. Die Jungs stellten ihre Maschinen zur Schau … Margot beugte sich zu Helene hinüber: „Die mit ihren Pullis und Tollen, wa? Machen ne Schau, wie Zirkusäffchen.“ „Scheint zu funktionieren“, erwiderte Helene. „Alle gucken …“
Ein kleiner, frecher Typ setze sich ungefragt zu ihnen. Legte die Arme auf den Tisch und lachte laut und vernehmlich. „Toll, wa? Die da hinten is meine …“ „Hier is’ schon besetzt“, maulte Margot und sah den ungebetenen Gast böse an.
„Wat’n meine Gute? Ick beiß nich. Wenn de willst, nehm ich dich nachher ne Rund mit auf meinem Schlitten. Hat echt was druff. Genau wie icke“, flirtete er ungeniert drauf los und rückte näher.
„Verzichte“, raunzte Margot nur schlecht gelaunt zurück. „Rück mir nich uff’n Pelz.“ Er wandte sich zu Helene um: „Und du Prinzesschen?“ Helene wandte sich innerlich. „Ick, ick hab schon wat vor …“ stammelte sie und kam sich vor wie ein Kleinkind.
Der junge Mann schien nicht sonderlich geknickt angesichts der Abfuhr der beiden neuen. „Na, wer nich will, der hat schon. Falls ihr et euch anders überlegt, fragt nach Harald.“ Er erhob sich schwungvoll und stiefelte zu seiner Maschine.
„Selbstbewusst isser ja“, räumte Helene ein. „Ach wat, dit is der jewohnt. Der sammelt doch Körbe.“
Margot sah sich um, „aber der da, der könnte wat für dich sein …“ „Ach nee!“ protestierte Helene.
„Trauste dir nich?“, spottete Margot. „Willste wieder nach hause, zu Mamas Schürzenzippel?“
Helene ließ sich nicht aufziehen. „Nur mach mir nicht die Hölle heiß. Du weißt doch: Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste. Und ick hab keenen Helm dabei …“
„Dass du mir ja nich mit nem dicken Bauch nach Hause kommst“, hatte Helenes Mutter eins ums andere Mal gemahnt. Nichts lag ihr ferner, dass müsste ihre Mutter doch wissen, hatte Helene doch tagtäglich vor Augen, was es hieß, Kinder in Armut aufzuziehen. Sie selbst war so groß geworden und wünschte es ehrlich gesagt keinem. Noch immer träumte sie von leeren Brotkästen, Hunger, der einem den Magen verkrampft, von Kälte, die jeden schönen Gedanken erfrieren lässt und den weißen Kondensstreifen am Himmel, die das Bombengeschwader im März ’45 am blauen Frühlingshimmel über Berlin hinterlassen hatte. Der Himmel, den sie so wunderschön und so todbringend erlebt/ in Erinnerung behalten hatte. Sie würde sich keen Kind anhängen lassen; so schön konnte gar keen Mann sein, sagte sie sich.
Es blieb nicht bei der einen Tasse Erdbeer-Bowle … und auf dem Nachhauseweg schwankten die beiden bedenklich. Als sie nur noch Schlangenlinien fuhren, beschlossen sie lieber anzusteigen und zu schieben. „Wollen ja unser Kapital nich ruinieren“, kicherte Margot und strich sich zum wiederholten Male die Haare hinter die Ohren. Helenes Pferdeschwanz hatte sie gelockert, er saß nun er im Nacken als am Hinterkopf und einteilen Strähnen hatten sich aus dem Haargummi gelöst. Im ganzen Shen die beiden Freundinnen ziemlich derangiert und ziemlich fröhlich aus. Helene konnte sich nicht erinnern, wann sie das letzte Mal so viel Spaß gehabt hatte. Diese Art von Spaß. Vielleicht noch nie. Ihre Kiefer- und Gesichtsmuskeln schmerzten leicht vom vielen Lachen. Die Clique war aber auch lustig gehen und Margot hatte alle unterhalten. Mit ihren unterhaltsamen Geschichten über ihre Brüder, die Pauker und nicht zuletzt Sieglinde, ihre Lieblingsfeindin.
Helene hatte ja bisschen ein schlechtes Gewissen, Hannes gegenüber. Weil sie so viel Spaß gehabt hatte. Ohne ihn. „Papperlapapp“, hatte Margot insistiert, „du hast dir absolut nichts zuschulden kommen lassen. Nur geplaudert und jetrunken, viel jetrunken“, lachte sie. „Und außerdem seid ihr nich verheiratet.“
Am nächsten Morgen kam Helene nicht aus dem Bett. Das war ungewöhnlich. Ihre Glieder fühlten sich so schwer und ihre Zunge so dick an, dass sie sich kaum bewegen konnte. Die Mutter befühlt Stirn: „Na ja, Fieber haste nich.“ Aber janz in Ordnung biste ooch nich. Dit seh ick sofort.“
Nebenan hörte Helene die Schwestern zanken: „Du Schweinepriester, gib her.“ „Nu halt ma die Backen still. Du klingst ja wie ne Jassenjöre! Hast denn Jar nüscht jelernt? „Quatschnich so jeschraubt. Und jetzt gib dit endlich wieder her! Det i meins! Mach die Oojen zu, denn siehst, wat deins is!“ „Arschgeige!“ „Du hast wohl n’ Sockenschuss! Na warte …“
Helene hörte es rumsen, dann heulte eine. Die Mutter ging rüber und Helene schlief wieder ein. Sie sank in einen tiefen traumlosen Schlaf und erwachte erst wieder, als der Nachmittag Schin weit fortgeschritten war.
Die Wirklichkeit strömte durchs Fenster und setzte sich an ihr Fußende. Sie vertrieb die Träume der nacht aus dem Halbschatten in den Ecken. Helene betrachtete die Tulpen im Marmeladenglas auf ihrem Nachttisch. Gelb und Rot. Sie dachte an Hannes. An ihr Zusammensein, ihre Ausflüge, die großen und die kleinen. Das Mundharmonika spielen. An seine Hände. Seien Küsse. Sein Lachen. Sie vermisste ihn. Ein Schatten sank ihr ins Herz.
Sie hatte geschrieben über die Liebe: Wenn ich an dich denke, habe ich Sonne in den Augen.
Liebe ist nicht rot, fand sie. Sie ist blau wie der Frühlingshimmel.
„Sieh doch!“, hatte er gesagt im Herbst … Sie hatte den Kopf gehoben, um in den Himmel zu schauen. da hatte er sie sanft am Kinn gefasst und geküsst. So schön und so überraschend, dass sie zusammengezuckt war.
„Ick könnte dich uffreseen“, hatte er ihr zärtlich ins Ohr geflüstert. Und sie hatte nichts anderes gewollt.
Ihre Gefühle glichen einem Wildgarten: Bunt, chaotisch, unübersichtlich; wunderschön mit viel Unkraut dazwischen.
Helene roch den Müll in der Ecke. Sie wandte sich ab, wollte wieder schöne Momente sammeln: Sonne auf den Knien spüren, ihm eine Strähne aus dem Gesicht streichen, eine Birne teilen … Sie wollte diese Momente am liebsten aufbewahren, wie als Murmel in einem Säckchen, oder auf eine Kette fädeln wie Perlen, sortiert nach Farbe oder Größe.
„Liebe macht nur Falten“, grinste Margo immer. „oder schlimmer …“
Und vor ein paar Monaten, als sie Astrid getroffen hatten, waren beide erschüttert über das blaue Auge gewesen, das ihr deren Verlobter, verpasst hatte. Warum wussten nur die beiden. Vielleicht nicht einmal sie …
„Der hat janz schön hingelangt.“
„Ja, dann is’ se auf und davon. Und denn: Katzenjammer uff beiden Seiten.“
„Hätta sich halt vorher überlegen sollen, Mistkerl!“
Astrids Verlobter hatte an jenem Abend ganz schön Rabatz gemacht; „Du ausgekochten Luder“, hatte er sie beschimpft, dass es die ganze Straße mitbekam.
Margot war voll informiert: „Da war se sauer und hat ihm wat jehustet, als er wieder angekrochen kam uff allen Vieren und um Verzeihung gebettelt hat. Aber nicht lange … Sie waren dann doch wieder ein Paar geworden, kurz darauf war Astrid schwanger und ihr Kerl hat die Kurve gekratzt.“
„Ach du lieber Vater! Wat für’n Schlammassel“, sagte Helene.
„Vater werden is nich schwer, Vadder sein dagegen sehr“, rezitierte Margot.
„Nur gut, dass den los is’. Wenn dit schon so anfängt …“
„Und net Würmchen?“
„Ach, dit kriegen se noch noch groß, sagt se.“ Ihre Schwestern haben doch noch schon n Janzen Stall voll. Eens mehr oder weniger fällt da nich uff.“