Sonntag Nachmittag: Wir haben uns erfolgreich um ein familiäres Kaffeekuchen-Meeting gedrückt und durchstöbern mit erhitzten Gesichtern im Internet die „Villen in unserer Nähe“. Die Bilder sind traumhaft und kommen unseren Vorstellung schon sehr nahe. Die Preise hingegen sind dann doch eher alptraumhaft. Bei den schönsten, „Ach schau mal, der Garten mit Pool dazu wäre perfekt!“ …, sind die Kaufpreise vorsichtshalber gar nicht erst aufgeführt; vermutlich eine weitere Maßgabe barrierefreier Internetseiten: Der User ist vor einem plötzlichen Herzanfall zu schützen! Wir verabschieden uns von dem Schwimmbad über den Dächern der Stadt genauso wie von den fünf Bädern (drei davon mit Erholungs- und Saunalandschaft) und ändern in der Suchmaske den Begriff „Traumvilla“ in „Traumhaus“. Zuerst denken wir, der Laptop hätte den Suchbegriff nicht angenommen, denn die Preise haben sich kaum geändert. Wir ändern leicht irritiert ein paar weitere Parameter: Aus „Grundstück“ wird „Garten“, aus „inklusive Poolhaus“ wird, „inklusive Gartenschuppen“ und aus „Minimum fünf Zimmer“ wird „Maximum vier Zimmer“: Enter! Nix: Neue Fotos, aber beinahe die alten Preise – lediglich unwesentlich nach unten korrigiert. Mein Lebensabschnittsgefährte überprüft die Internetverbindung und faselt etwas wie: „Die Seite ist noch nicht neu geladen.“ Dann hämmert er erneut ein wenig panisch auf die Tatstatur ein.

Nach einer halben Stunde, ich habe inzwischen Tee gemacht, die Wäsche aufgehängt und unseren Hund Gassi geführt, rege ich einen Kriegsrat an. Es wird schnell klar, dass wir mit unseren paar, noch vom Babysitten und Aushilfskellnern überlebten, zusammengekratzten Kröten keine großen Sprünge machen können. „Eigentlich nicht mal kleine Hüpfer“, konstatiere ich und verabschiede mich in Gedanken bereits von der geplanten gigantischen Sonnenterrasse und dem Whirlpool mit rückengerechter Wechselbeleuchtung. Doch mein Mitbewohner gibt so schnell nicht auf.
„Wenn unser Erspartes nicht reicht, muss eben eine Finanzierung her.“
„Hm, Abzahlung auf dreimal Lebenszeit“, denke ich, pflanze mich aber wieder neben ihn und starre hoffnungsvoll auf den Bildschirm – Wunder gibt es ja bekanntlich immer wieder…
Auf einer sehr professionell wirkenden Immobilienseite treffen wir unseren virtuellen Hilfsberater Herrn Schuhmann. Herr Schuhmann ist ein Immobilienfuzzi wie man ihn nicht besser beschreiben könnte. Nett, aber nicht aalglatt. Seriös, aber nicht langweilig. Jung, aber nicht zu jung. Alt, aber nicht – und so weiter und so weiter. Da wir etwas von ihm wollen, bemühen wir uns Mister Perfekt außerordentlich freundlich gegenüberzutreten. Er soll uns mögen und uns, nur uns, diesen „wahnsinnsheißen Insider-Tipp zu einem echten Traumobjekt zum Schnäppchenpreis“ geben. Ich ahne schon, dass es bei soviel „Traum“-Gedusel wohl auch bei einem solchen bleiben wird.
Nachdem uns Herr Schuhmann eine Viertelstunde lang ausgequetscht hat, er wollte wirklich alles wissen!, vom jetzigen Wohnort und den vorangegangenen bis hin zum gewünschten, über Beruf, Freunde, Hobbies, Lieblingsessen, Augenfarbe und Schuhgröße bis hin zu sexuellen Vorlieben als Multiple Choice Seite, die meisten Begriffe mussten wir nachschlagen, schien das millimetergenaue Durchleuchten endlich beendet zu sein. Doch zu früh gefreut: Erst als wir endlich die Fragen zur politischen Einstellung und die Angaben zu ethischen Konzepten durchgestanden hatten, blieb der Bildschirm bei den Zahlen hängen.
„Mann, ich will doch einfach nur eine einfache Grobkalkulation“, stöhnt mein Freund.
„Jetzt haben wir es fast geschafft“, antworte ich, während ich meinen rauchenden Kopf mit frischem Weißwein kühle. (Wir sind ziemlich schnell von Tee auf Wein umgestiegen.)
„Gehalt“, steht in Großbuchstaben neben einem leeren Feld auf dem Bildschirm. Naiv wie wir sind, geben wir anfangs nur das Gehalt einer Person ein, genauer gesagt: meiner Person – schließlich müssen wir nicht nur wohnen, sondern auch essen und trinken, und das wird dann vom zweiten Gehalt gezahlt (Wein zum Beispiel…). Nachdem wir den Betrag eingegeben haben – es ist in diesem Kästchen so verdächtig viel Platz vor der ersten Ziffer – und gespannt warten, bahnt sich eine weitere Demütigung den Weg durch das World Wide Web: Es erscheint ein fies lachendes Männchen auf dem Bildschirm! Vor Lachen zappelnd weist es immer wieder mit ausgestrecktem Finger auf die Bezifferung meines Nettogehaltes. Ich kapiere nicht, werde aber bei diesem nervtötenden Gegacker des ungezogenen Wichtes aus den blechernden Lautsprechern langsam aggressiv. Mein Leidensgenosse rettet die Situation und den Laptop vor einem harten Fausthieb, indem er geistesgegenwärtig die Gehaltsangabe ein wenig nach oben setzt. Noch immer biegt sich die unverschämte Figur vor Lachen. Er korrigiert die Zahl noch etwas nach oben, wirklich nur ein bisschen… Noch immer geschieht nichts. Ich hole mit der geballten Faust aus, da schreibt er in seiner Verzweiflung eine astronomische Summe in das Feld, ca. verzwanzigfacht, und bestätigt. Ich lese wie erstarrt die Summe und lasse resigniert den Arm sinken. So viel würde ich mein Lebtag nicht verdienen, zumindest niemals innerhalb eines Monats, doch mein Freund scheint da viel optimistischer zu sein: „Warte ab, wenn erstmal das neue Buch fertig ist…“ Er nippt gelassen an seinem Weinglas und harrt der Dinge, die da kommen.
„Außerdem habe ich dein und mein Gehalt einfach zusammengezählt. Wir bezahlen doch eh dann beide…“ Wieder nippt er zufrieden am Alkohol.
„Ein Meister im Verdrängen“, denke ich anerkennend und verzichte darauf, einzuwenden, dass auch unsere Verdienste zusammen nicht einmal annähernd diese Summe erreichen. Er windet sich ein wenig unter meinem schweigenden Blick.
„Na ja, ich habe den geplanten monatlichen Verdienst genommen. Und außerdem – es ist doch nur so – zum Spaß!“ Genau! Nur ein Experiment, das muss ich mir sagen… nur ein Modellversuch. Was wäre wenn?
Wir widmen uns wieder den Fragen; schließlich sind wir fast durch und würden gleich erfahren, welchen Betrag wir für unser Häuschen im Grünen finanziert bekämen und wie lang und wie viel wir monatlich würden abzahlen müssen. Leider kommen wir an dieser Stelle aus unerklärlichen Gründen nicht weiter mit dem Programm und müssen nach etlichen gescheiterten Versuchen noch einmal von vorn beginnen. Ich möchte den netten Herrn Schuhmann, unseren „kompetenten Berater rund ums Eigenheimglück“ gern mit seiner eigenen scheußlichen Krawatte erwürgen, doch er entzieht sich erfolgreich meinem Zugriff.
Also beginnen wir die ganze Chose noch einmal von vorn. Beim zweiten Versuch ändern wir einer plötzlichen Intuition folgend die Angabe „selbstständig“ in „fest angestellt“ und siehe da: dieses Mal erreichen wir auf wundersame Weise das vorletzte Level! Hurra. Aus Fehlern lernt man und so helfen wir auch beim Punkt „Eigenkapital“ ein wenig nach; schließlich haben wir ja vor, erst dann zu kaufen, wenn wir diesen Eigenkapitalsbetrag zur Verfügung haben – wann immer das auch sein würde…
Bei den persönlichen Angaben nimmt mein Liebster das Ruder mit den Worten „Du bist immer viel zu ehrlich!“ ganz in die Hand.
Na dann, ich lehne mich zurück und genieße das dritte Glas Wein. Kurz darauf lese ich doch etwas verwundert die Beschreibung des Bauherren, eine „Baudame“ scheint es nicht zu geben: Ich bin fünf Jahre jünger und habe ein Abidurchschnitt, von dem ich immer nur träumen konnte, ich bin auch 10 cm größer und 6,5 kg leichter, bin zur ehemaligen Leistungssportlerin mutiert, und bin noch jetzt jeden Tag sportlich aktiv (natürlich keine Risikosportarten), außerdem karikativ engagiert, politisch unauffällig, Vegetarierin, arbeite in einem großen namhaften Konzern in leitender (!) Position, inkl. Firmenwagen und Sonderprämien, von denen ich locker ohne Gehalt leben könnte… Ich spreche sechs Sprachen (ich wär froh, wenn ich zwei richtig beherrschen würde), pflege meine Hobbies: Thai Chi, Feng Shui, Reiki (ich war verwundert, dass mein Freund mir keinen fernöstlichen Namen verpasst und mich bei Toshiba angestellt hat). Mein Werdegang: Privatschule, Elite-Uni und Doktortitel (langsam macht mir das echt Spaß!), Kinderwunsch: natürlich niemals (damit ich nicht ausfallen, meine Arbeit vernachlässigen und die teuren Abzahlungsraten nicht mehr pünktlich überweisen könnte), verheiratet (Hä?), als er sogar bei meiner Beinlänge mogelt (wobei es da sicher einiges zu mogeln gäbe), wird es mir doch zuviel.
„Jetzt reicht´s. Das kannst du nicht machen. Nicht, dass dir oder denen oder wem auch immer meine Ausbildung, Persönlichkeit und Ernährungsweise nicht passt, jetzt wollt ihr auch noch an meine Beinlänge … Nein, was genug ist, ist genug.“
So, mal Dampf abgelassen. Ich fühle mich gleich besser, jetzt wo ich einige Dinge klargestellt und meine Position deutlich gemacht habe. Ich straffe die Schultern. Dann spüle ich mit einem Glas Wein nach und grummle eine wütendes: „Scheiß Haus.“
„Rechts oder links?“ fragt mein Freund ungerührt. Er sieht nicht einmal vom Bildschirm auf. „Dann die rechte Beinlänge“, murmle ich. „Das Bein ist länger!“
„Wie lang?“
Mit zusammengebissenen Zähen erhebe ich mich, um nach einem Maßband zu wühlen und mich nun komplett zur Idiotin zu machen.
„Was zum Teufel hat das bitteschön mit unserem Haus zu tun?! Wird da die Kloschüssel maßangefertigt?!“, tobe ich.
Mein Kapitalistenfreund zuckt nur mit den Schultern und tippt wartend mit dem Zeigefinder auf die Sofalehne.
„99 cm“, antworte ich so cool ich nur kann… Hatte das denn nie ein Ende? Ich starre wie hypnotisiert auf den Bildschirm. Entsetzen tritt in meine Züge, als ich die nächste Frage lese.
„Nein, also … aber nee, die nächste Frage, auf keinen Fall, das ist obszön, nicht mit mir…“ Doch mein hausgeiler Freund hat sich schon das Maßband geschnappt und mich auf die Couch gedrückt.
Im letzen Level muss man mathematische Aufgaben lösen. Unser „freundlicher Berater“ Herr Schuhmann hilft uns dabei kein Stück – die Sau! Wir knobeln vier Stunden. Dann werden wir wegen Zeitüberschreitung disqualifiziert und müssen von vorn beginnen… Als mein Liebster wieder bei Level eins beginnt, setze ich die Weinflasche direkt an den Mund… Es ist bereits dunkel, aber das bemerke ich kaum noch, als wir abermals bei den mathematischen Raffinessen angelangt sind. Frustriert tippen wir mit Hilfe eines aus der Schulzeit mitgegangenen Mathelexikons und der zweiten Flasche wie besessen Lösungen in die Ergebnisfelder und Gott oder Herr Schuhmann hat Erbarmen – wir sind am Ziel. Das freie Feld, aufmerksamkeitsstark fett rot umrandet blinkt. Gleich werden wir die Früchte dieses Nachmittags vom Bildschirm ernten, endlich werden wir erfahren, mittels welchen Finanzierungsplans wir unseren Traum vom Haus verwirklichen können. Doch Herr Schuhmann scheint bereits Feierabend gemacht zu haben – jedenfalls hat er sich mittlerweile gänzlich verpisst…
Als die Meldung „Für Ihre finanzielle Rahmenbedingen konnte unser Online-Service leider kein Angebot erstellen. Bitte wenden Sie sich an ein anderes Institut!“ aufblinkt, klappt mein Freund mit einem leicht verstörten Blick den Laptopdeckel zu und ringt sich zu einer merkwürdigen Mischung aus Achselzucken und Kopfschütteln durch.
Am nächsten Morgen wachen wir Arm in Arm zwischen drei leeren Weinflaschen auf. Während wir unter dem Küchentisch hervorkrabbeln, sagt mein Freund mit schwerer Zunge: „Weißt du, eigentlich find ich es ganz schön hier bei uns!“

(von Barbara Schilling, vollständig nachzulesen in „Geschichten für Entdecker“ ISBN 978-3000266898)